Martinus: Logik, Kap. 66.

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66. Kapitel

Wesen, die der Allgemeinheit voraus sind. Wissenschaft, Diktatur und "Gangster"

Wir kommen nun zur dritten Gruppe, wo die Kinder, was Anlagen und Intellektualität betrifft, den Eltern überlegen sind und wo daher ebenfalls Disharmonie und Trennung zwischen den Beteiligten entsteht. Auf die "Elternschaft" zwischen dem "himmlischen Vater" und den Menschen übertragen, ist der "Vater" auch hier der autorisierte Glauben oder die dogmatische Lebensauffassung der Gesellschaft oder der Allgemeinheit, während die "Kinder" alle Personen in der Gesellschaft darstellen, deren Anlagen oder Intellektualität bewirkt, dass sie weder an diese Lebensauffassung glauben noch sie anerkennen können. In der modernen Zivilisation finden wir diese Wesen in großem Ausmaß innerhalb der akademischen Welt oder Wissenschaft. Die große Begabung dieser Wesen für die Aneignung intelligenzmäßigen Wissens auf dem rein materiell messbaren und wägbaren Gebiet, die außerordentlichen Mengen von Kenntnissen aus dem rein praktischen Leben, mit dem sie in Berührung kommen, stimmen nicht mit ihrer Kinderweisheit oder mit dem aus der Vorzeit überlieferten dogmatisch geformten Christentum überein, das die geistige Nahrung und Moralgrundlage der gefühlsbetonten, aber intelligenzarmen Allgemeinheit bildet. Es ist daher klar und selbstverständlich, dass diese Wesen allmählich ihre eigenen Wege gehen, da es ihnen nicht gelingt, ihre praktisch erlebten oder rein konkreten Erfahrungen mit der ererbten religiösen Ideologie in Übereinstimmung zu bringen, die sich ursprünglich, wie jede andere Erklärung auf diesem Gebiete, nur an das Gefühl und nicht an die Intelligenz wenden konnte und die daher nur in Symbolik oder Gleichnissen ausgedrückt werden kann, die aber nichtsdestoweniger von den religiösen Autoritäten derselben Allgemeinheit in blindem Eifer als buchstäbliche Wahrheit dargeboten wird.
      Dass diese Lehre der Intelligenz keine Nahrung geben kann, wird ja gerade dadurch zur Tatsache, dass sie blinden Glauben verlangt, ohne wirklich konkrete Analysen zu geben. Die oben genannten intellektuellen Wesen werden somit in ihrem täglichen Leben sowohl den zahlreichen in ihrer Mentalität aufsummierten praktischen Erfahrungen oder unumstößlichen Tatsachen gegenübergestellt, die ihnen absolute handgreifliche Haltepunkte geben, als auch den Ideologien der überlieferten religiösen Behauptungen, die nur abstrakte oder unwirkliche Haltepunkte geben. Dass diese Wesen sich daher immer mehr angeregt fühlen, die konkreten praktischen Haltepunkte anstelle der religiösen und unsicheren zu ihrem Lebensfundament zu machen, ist nur logisch.
      Da aber die Erfahrungen, in deren Besitz sie vorläufig kommen, nur die allerersten beginnenden Stadien der wirklichen Lösung des Welträtsels, d.h. rein materielle, messbare und wägbare Gebiete, repräsentieren und da diese Gebiete gemäß dem "Livets Bog" nur ein einzelnes lokales Gebiet in der Gesamtheit dieser Lösung bilden können, sind diese Wesen, wissenschaftlich gesehen, noch weit von der Erkenntnis der wirklichen Lösung entfernt.
      Dass der edle Wissenschaftler dieses Ergebnis, diese Lösung des Welträtsels sucht, die also das Ziel seines bewussten oder unbewussten Strebens ist, lässt sich nicht bestreiten. Und dieses Wesen ist daher gemäß kosmischer Analyse als "religiös" zu betrachten. Man darf nämlich nicht vergessen, dass die unermüdliche Forschung des edlen Wissenschaftlers auf zahlreichen Gebieten unter anderem sehr viel Gutes für die Menschheit auf technischen sowohl wie medizinischen, astronomischen, geographischen und vielen anderen Gebieten gebracht hat, ja so viel Gutes, dass dies dazu berechtigt – obgleich es nicht üblich ist –, diese Wesen vielen wirklich "heiligen Männern" der menschlichen Gesellschaft gleichzustellen, wenn auch der Begriff "Gott" für sie im Augenblick Naivität und Aberglauben bedeutet. Sie wünschen sicher aus innerer Bescheidenheit und aufgrund von vielen anderen äußeren modernen Vorurteilen auch nicht, als solche betrachtet zu werden.
      Eines kann ihnen jedenfalls nicht abgesprochen werden: sie gehören unumstößlich mit zu den Befreiern der Gesellschaft. Und ihr Lebenswerk ist damit in Wirklichkeit der höchste religiöse Kultus. Sie sind aufgrund ihres wirklichen Wissens und dessen edler Ausnutzung die ersten Vertreter und Verbreiter des "Heiligen Geistes" auf Erden. Die irdische Wissenschaft ist ja gemäß dem "Livets Bog" das Anfängerstadium des "Heiligen Geistes". Und die Vertreter dieses Stadiums werden alle durch ihre Arbeit nicht etwa zurückfallen auf die Dogmatik der Gesellschaft, sondern zur wirklichen Lösung des Lebensrätsels vordringen. Sie werden vordringen zum Erlebnis eines nicht durch menschliche Erfindung aufgestellten begrenzten und örtlich gebundenen Idealgottes, eines nicht von menschlichen Wünschen und Begierden bildlich geformten Nationalgottes oder von Dichtern beschriebenen Heldengottes, sondern einzig und allein eines ewigen, universalen Gottes, eines alles umfassenden "ewigen Vaters", in welchem "wir leben, weben und sind" und mit dem wir in unserem täglichen praktischen Leben in ewiger Verbindung stehen. –
      In der dritten Gruppe gibt es jedoch auch andere Wesen als die eben genannten. Von diesen gibt es einige, deren religiöses Leben, nachdem es dem Gott der Allgemeinheit entwachsen ist, nachdem es die Dogmen überlebt hat, dazu führt, dass es in theosophischen Studien und Zusammenschlüssen Aufschluss sucht und dadurch versucht, höhere religiöse, intellektuelle Gesichtspunkte aufzustellen. Und die Geistesarbeit dieser Wesen ist für viele Menschen desselben Stadiums oder derselben Wellenlänge von großem Nutzen. Sie haben eine große Arbeit geleistet, ähnlich der von "Johannes dem Täufer", d.h. eine große Vorbereitungsarbeit für die neue Welterlösung. Sie haben in besonderem Maße damit begonnen, die Aufmerksamkeit der Allgemeinheit auf die Reinkarnation oder Wiedergeburt der Wesen hinzuleiten, deren kosmische Analyse einer der Hauptfaktoren der Welterlösung des zwanzigsten Jahrhunderts ist.
      Weiter enthält die dritte Gruppe eine andere Reihe Wesen, die auch intelligenzmäßig den Dogmen, dem Kinderglauben entwachsen ist, deren Mentalität jedoch vorläufig noch nicht genügend Gefühlsentwicklung enthält, um in ihnen Interesse an hochreligiösen Problemen zu wecken; ja, sie können in gewissen Fällen sogar mit Ironie, Hass und Verfolgung danach trachten, diese Probleme zu bekämpfen. Ihr Idealismus geht mehr in materieller, politischer Richtung. Und diese Wesen werden hier die Erfahrungen machen, die ihnen zeigen werden, dass man weder seinen eigenen wirklichen Idealismus noch den der Gesellschaft aufbauen kann, solange man die "Geisteswissenschaft" oder die Analysen der geistigen Felder des Lebens selbst, durch die seine größten Gesetze aufgedeckt werden, verachtet. Eine solche intelligenzmäßige, materiell eingestellte, aber die höheren Geisteswissenschaften entbehrende und hasserfüllte Gesellschaft ist unvermeidlich ein Gebiet, auf dem in großem Ausmaß Folter, Terror, Mord und Totschlag vorkommen. Ja, diese Dinge werden geradezu in Verbindung mit der Alleinherrschaft, mit Diktatur oder Freiheitsberaubung die Grundlage oder der Lebensnerv zur Aufrechterhaltung einer solchen Gesellschaft.
      Eine Gesellschaft, eine Nation oder ein Staat, der jedoch solcher Art ausschließlich durch den Ehrgeiz von Diktatoren, durch Macht und Zwang aufrechterhalten wird, hat nichts mit einer natürlichen und freien Geistesentwicklung zu tun, sondern tritt in allzu bedenklichem Grade mit denselben Justizmethoden, mit derselben Strafmoral und Hinrichtungstendenz auf, mit denen jede "Verbrecherbande" unumgänglich organisiert sein muss.
      Wie aber jede "Verbrecherbande" zuletzt unvermeidlich bekämpft wird, zugrunde gehen muss, ihre Mitglieder zum Tode verurteilt, bestraft oder eingesperrt werden, so wird jede politische Gesellschaft, die auf derselben Grundlage wie eine solche Bande aufrechterhalten wird, auch unabwendbar von ihrem Schicksal eingeholt. Ihre Urheber und Machthaber werden "liegen, wie sie sich betten", werden "ernten, was sie gesät haben", und die darauf folgenden Leiden werden sie nach dem höchsten Wissen rufen lassen und diese Erkenntnis als die einzige Lebensgrundlage erleben lassen, wodurch auch sie den Weg zurück zum "himmlischen Vater" finden werden. –
      Nicht alle Wesen dieser dritten Gruppe sind jedoch so "günstig" gestellt, dass sie bewusst oder unbewusst ihr intelligentes, aber gefühlsprimitives Spiel vor den Mitwesen unter dem Begriff "Politik" tarnen oder verdecken können. Diese Wesen sind dann gezwungen, offener vorzugehen und werden daher von der Gesellschaft leichter als "Groß-Verbrecher" erkannt, mit denen die ehrliche Gemeinschaft dauernd im Krieg oder Kampf liegen muss. Das religiöse Leben dieser Wesen ist aufgrund ihrer stark entwickelten Intelligenz in den meisten Fällen schon längst ihrem Kinderglauben oder den Dogmen entwachsen. Und aufgrund ihrer Gefühlsarmut, d.h. ihrer noch sehr schwachen Fähigkeit, Mitleid zu fühlen, sind sie "Verbrecher" der Art geworden, die wir als "Gangster", "Kidnapper", "Erpresser" usw. kennen. Aber sehr oft ist diese Seite ihres Lebens durch ein offizielles Hervortreten getarnt, z.B. als reicher Mann mit großartigen Palästen und Luxuswagen, als Eigentümer von Vergnügungsetablissements o.ä. Und nur wenn sie Pech mit ihrem Handwerk hinter den Kulissen haben, werden sie entlarvt.
      Es erreichen jedoch nicht alle eine so große Position in den Regionen der Gesetzlosigkeit. Zur gleichen Kategorie gehören auch viele Geschäftsleute oder Handelstreibende. Viel mehr dieser Wesen, als man glaubt, rauben und plündern mit schamlosem Gewinn ihre Mitbürger aus, überall wo sie es sich ohne ein allzu großes Risiko erlauben können oder wo sie Lücken im juristischen Gesetzessystem finden. Und sind nicht gerade aus diesem Grunde Berufe wie "Rechtsanwälte" entstanden, Spezialisten in Jura, die man in Anspruch nimmt, um Rechtshilfe für die Ausnutzung eventueller Spitzfindigkeiten für die Erfüllung eines Wunsches zu bekommen, gleichgültig, ob dies nun in Richtung des eigenen Schutzes oder in Richtung des eigenen Angriffs auf andere geht? –
      Wäre das Gefühlsleben bei allen Mitgliedern der Gesellschaft ganz bis zum Stadium der Ehrlichkeit angewachsen oder entwickelt, dann brauchte das juristische Gesetzessystem nicht so kompliziert zu sein, dass es nur von besonderen Spezialisten ausgenutzt oder angewendet werden kann, deren Beistand gewöhnliche Bürger notwendigerweise suchen müssen, wenn sie eine einigermaßen annehmbare Sicherheit haben wollen, um von diesem Gesetzessystem nicht ausgenutzt, sondern beschützt zu werden.

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