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Logik - Inhaltsverzeichnis   

 

 

62. Kapitel

"Verlorene Eltern" und der "verlorene Sohn"  Und wie ging die Führung durch diese "heiligen" Männer vor sich? Sie wurde eine der primitiven Auffassungsgabe der Naturmenschen genau angepasste Erklärung des Sinnes des Lebens, die das befriedigen konnte, was diese Wesen vorläufig imstande waren, als Wissen von der Logik oder Zweckmäßigkeit des Lebens zu begehren. Dass diese Erklärung unaufhörlich geändert werden musste, ergibt sich von selbst, da sich die Wirkungen und Erfahrungen des "Sündenfalls" allmählich immer höher auftürmten. Und eine solche Erfahrungsbereicherung kann nicht stattfinden, ohne in entsprechendem Maße das Wesen mit Qualifikationen zu bereichern, die es befähigen, eine entsprechend tieferschürfende theoretische Belehrung oder Unterrichtung in den Analysen des Lebens zu verstehen oder entgegenzunehmen.
      Die Menschheit befindet sich deshalb in ihrer Gesamtheit in einem geistigen Wachstum. Dieses Wachsen wird vom einzelnen Wesen in Form seiner geistigen Verwandlung von seiner Geburt an bis zum Eintreten seiner Reife repetiert. Die Fragen des kleinen Kindes können nicht genauso beantwortet werden wie die des Erwachsenen nach denselben Dingen. Es ist auch eine Tatsache, dass die Fragen des kleinen Kindes solche Seiten des Lebens betreffen, über die sich der Erwachsene schon längst im Klaren ist. Es geht eine Verwandlung der Natur der Fragen in der Mentalität des Wesens von seinem Kindheitszustand bis zu seiner Großjährigkeit und Reife vor sich. Und die Anpassung der Antworten oder die Befriedigung dieser wachsenden Natur der Fragen kennen wir als "Erziehung".
      Wie jedes Kind der Erziehung unterworfen sein muss, um seine angeborene Natur zu kultivieren, muss auch jeder erwachsene Mensch einer "Erziehung" unterworfen sein, damit der durch die Kindererziehung erreichte Kulturstandard weiterhin erhöht und entwickelt wird. Im ersten Fall wird die Erziehung normalerweise von den Eltern vorgenommen, während sie im letzteren Falle dazu übergeht, vom Leben selbst vorgenommen zu werden, d.h. teils durch praktische Erlebnisse oder Erfahrungen, teils durch theoretischen Unterricht. Die Erlebnisse des Wesens, die behaglichen wie die unbehaglichen, die sogenannten "bösen" wie auch die sogenannten "guten", bilden somit alle ohne Ausnahme eine Art Haupterziehung des Wesens. Und ebenso wie die Erlebnisse des kleinen Kindes in großem Ausmaß Mystik für es sind, bis es die Erklärungen oder Gesichtspunkte auf den betreffenden Feldern von seinen Eltern oder Erziehern eingeholt hat, sind auch die Erlebnisse des erwachsenen Menschen bis zu einem gewissen Grade Mystik für ihn, bis er sich bei seinen "Erziehern" erkundigt hat, d.h. bei den vorher genannten "heiligen" Männern, zu denen er Vertrauen haben konnte.
      Wir sehen also, dass das Leben des erwachsenen Menschen in Wirklichkeit nur eine, wenn auch in höherer Form hervortretende Wiederholung des Kindheitszustandes ist. Genauso wie das Kind von seinen Erziehern oder Eltern abhängig ist, ist auch der Erwachsene von Wesen und Verhältnissen abhängig, von denen er annimmt, dass sie eine im Verhältnis zu seinem eigenen Zustand größere Reife oder einen größeren Intellekt aufweisen. Und diese Abhängigkeit hat ja auch verursacht, dass er durch diese Wesen und Verhältnisse instinktiv einen "himmlischen Vater" fühlt.
      Ebenso wie das kleine neugeborene Kind nicht sofort seine Eltern verstehen kann, sondern erst viel später, wenn es sich allmählich daran gewöhnt hat, sie jeden Tag zu sehen, versteht auch der Erdenmensch seinen "himmlischen Vater" nicht klar, bevor er sich nicht während vieler Leben an dessen Werke und Äußerungen gewöhnt hat und über die durch sie offenbarte Logik und Liebe ins Klare gekommen ist.
      Während das Verhältnis des Kindes zu den Eltern während seiner Minderjährigkeit hauptsächlich gefühlsbetont ist, wird dieses Verhältnis in Form von hinzukommender Intelligenzbetonung bereichert, wenn das Kind allmählich weiter heranwächst. Während das kleine Kind also bedingungslos oder mit uneingeschränkter Sympathie an die Eltern geknüpft ist, ganz unabhängig davon, welchem moralischen Stand diese Eltern auch angehören, gleichgültig, ob sie Diebe, Räuber oder Betrüger sind, ist dies nicht ganz der Fall, wenn das Kind reifer und erwachsener geworden ist. Mit der sich seinem Alter entsprechend entwickelnden Intelligenz oder mit dem Verstand kommt es so weit, selbst eine mehr oder weniger unfehlbare intellektuelle Urteilskraft, seine eigene mehr oder weniger unerschütterliche Anschauung vom Leben zu erhalten. Falls zwischen dieser Anschauung und derjenigen der Eltern oder Erzieher über Moral, über Leben und Dasein keine Unterschiede hervortreten, erleidet die Sympathie des Kindes zu seinen Eltern oder ihren Stellvertretern keinen Schaden. Im Gegenteil, sie wird oft noch inniger. Wenn aber diese Anschauung oder die wirkliche oder vermutliche Intellektualität des Kindes Unterschiede zwischen der Lebensweise des Kindes und der der Eltern schaffen, ja, dann wird die Liebe zur Familie immer mehr aufgelöst. Disharmonie, Streit und Zerwürfnisse machen sich zuweilen geltend, und das Verhältnis kann schlimmstenfalls sogar in Mord und Totschlag enden. Das Leben zeigt Beispiele von Vater- und Muttermördern, wie auch von Sohnes- und Töchtermördern.
      Die Ursache zu dieser Disharmonie zwischen dem Kind und den Eltern kann also darauf beruhen, dass die Mentalität der Eltern, ihre Lebensanschauung und ihre Auffassung über Moral von angeborener primitiverer Natur sind als die des Kindes. Während das Kind heranwächst, geht es ihm immer mehr gegen seine Natur, sich der Moral und den Vorschriften der Eltern unterzuordnen, da diese ja nur ein Entwicklungsstadium darstellen, welches das Kind schon in früheren Leben durchlebt hat. Dieses Stadium ist daher seiner gegenwärtigen angeborenen Einstellung gegenüber stark veraltet und unmoralisch und ist folglich mit seiner jetzigen höher entwickelten Einstellung darüber, was im Leben recht und billig ist, unvereinbar.
      Dass die Eltern dies nicht verstehen können und auch nicht wollen, kann entschuldigt werden, solange sie noch nichts von der Reinkarnation und von früheren Leben wissen, solange sie nicht wissen, dass "Gottes Schöpfung des Menschen" Entwicklung ist, eine gradweise Verwandlung des "Tieres" zum "Menschen" ist und sie sich daher an das vierte der zehn Gebote der Bibel klammern und sich dem Kinde gegenüber darauf berufen: "du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren". –
      Wie aber soll ein Kind, das Abscheu vor dem Lügen hat, Abscheu vor dem Stehlen, Abscheu vor Hass und Verleumdung usw., Eltern "ehren", achten und bewundern können, deren Moral sie nicht daran hindert, diese Manifestationen auszuüben? –
      Es ergibt sich von selbst, dass in solchen Fällen notwendigerweise Zusammenstöße zwischen Eltern und Kind entstehen müssen, wie es auch eine Tatsache ist, dass solche Zusammenstöße die Beteiligten völlig voneinander trennen können. Und wir bekommen hiermit die Analyse eines Verhältnisses, das mit Recht mit dem Begriff "die verlorenen Eltern" zu kennzeichnen ist.
      Es kann jedoch auch der entgegengesetzte Fall eintreten. Es kommt vor, dass Eltern ein Kind bekommen, dessen angeborene Natur und Anlagen bei seinem Heranwachsen darauf hindeuten, dass es seiner Art nach viel niedriger und primitiver ist als die Eltern. Es zeigt sich, dass das Kind Neigungen zu primitiven Lebensäußerungen wie lügen, stehlen, hassen usw. hat, während die Eltern längst diese Stadien zurückgelegt und durchlebt haben. Es ist sicher, dass für die Eltern die Erziehung sehr schwierig und mühsam ist und im besten Fall nur in einer Art von "Dressur" resultieren kann, die sich in Wirklichkeit nur halten kann, solange das Kind noch ganz der Kontrolle und dem Zwang der Eltern unterstellt ist. Sie verliert ihre Wirkung im selben Augenblick, in dem das Kind die Eltern verlässt, erwachsen wird, sein eigener Herr wird. Es muss notwendigerweise seinen angeborenen Instinkten und Neigungen folgen, die es noch nicht ausgelebt hat, von denen es noch nicht gesättigt ist und die deshalb für dieses Wesen ganz und gar das Leben und das vermeintliche Glück bedeuten. "Niemand kann über seinen Schatten springen", und man darf nicht glauben, dass "Erziehung" nicht ausgelebte Instinkte beseitigen und dadurch einen Menschen von einer Entwicklungsstufe zu einer anderen hinaufheben kann. Liegt ein Kuckucksjunges im Nest, wird es nun einmal ein Kuckuck, gleichgültig, wie intensiv es auch mit seinen kleinen Pflegeeltern Umgang hat, gleichgültig, wie liebevoll sie sich auch seiner Pflege und Aufzucht annehmen. Nur das Leben selbst, d.h. die eigenen Erlebnisse des Wesens und die hierdurch erfolgte Sättigung mit Erfahrungen kann den Durchgang des Wesens von einer niedrigeren zu einer höheren Stufe auf der Leiter der Entwicklung oder der wirklichen Moral freimachen. Dagegen kann sich "Erziehung" nur als eine durch den Erzieher fast polizeimäßige Geltendmachung der auf der Stufe schon gewonnenen oder gemachten Erfahrungen als das einzig Seligmachende zeigen, so dass dieses zusammen ein für diese Stufe passendes und kultiviertes Erkennen der wahren Natur des Erzogenen bildet. Da aber jede Stufe notwendigerweise ihre besonderen Erfahrungen und damit auch ihre besondere Erkenntnis haben muss und da diese die Grundlage der "Erziehung" ist, muss jede Stufe demnach ihre besondere "Erziehung" haben. Und "die Erziehung" jeder Stufe ist also eine Kultivierung der Mentalität des Wesens im wahren Geist und in der wahren Natur der Stufe. Es ergibt sich daher, dass jedes Individuum nur in der Moral und Auffassung der Stufe kultiviert oder "erzogen" werden kann, der es von Natur aus angehört. Wenn einem Individuum eine "Erziehung" aufgezwungen werden soll, die zu einer höheren Stufe gehört als die, zu der das Individuum wirklich gehört, bedeutet das, dass man Naturen und Anlagen in seiner Mentalität kultivieren will, die es absolut nur in der Mentalität von Wesen gibt, die der Stufe angehören, von woher die betreffende "Erziehung" stammt. Man will also in der Mentalität des Wesens etwas "erziehen" oder kultivieren, was es gar nicht gibt.
      Aber wie sollte man etwas kultivieren können, was gar nicht existiert? –
      Nichtsdestoweniger sehen wir dennoch die Tatsache, dass viele Wesen primitiver Stufen einer "Erziehung" höherer Stufen unterworfen werden. Diese Wesen können dadurch nicht dazu gebracht werden, den höheren Stufen anzugehören. Wenn aber die Erzieher sehr ausdauernd und beharrlich sind, Macht und Gewalt gebrauchen, können sie diese Wesen zwingen, eine Art äußerer Gesten anzunehmen, die es aussehen lassen, als ob sie wirklich die Entwicklung jener höheren Stufe besäßen, welche die wirkliche Heimat der betreffenden "Erziehung" ist. Aber diese äußeren Gesten haben kein Leben, sind nicht im wirklichen Verständnis dieser Wesen und in ihrer Sympathie verwurzelt, die ja notwendigerweise ganz von dem beherrscht sein muss, was ihre wirkliche angeborene Natur ausmacht.
      Eine solche äußere Geste entspricht im Großen und Ganzen der Erscheinung, die wir sehen, wenn ein Hund dazu "dressiert" wird, Pfote zu geben, um "guten Tag" zu sagen. – Der "Gruß" des Hundes entbehrt des inneren Lebens, das die Grundlage für einen solchen Gruß ist. Der "Gruß" des Hundes ist für ihn selbst nur eine durch Zwang hervorgerufene, äußere Erscheinung, von deren Sinn er nicht die geringste Ahnung hat. Er führt diese äußere Erscheinung daher nur aus, weil er möglicherweise sonst Schläge bekommt oder im besten Falle dadurch einen kleinen Leckerbissen, ein Stück Zucker o.ä. erhalten kann. Was hat jedoch ein solcher "Gruß" mit einem wirklichen menschlichen Gruß zu tun? Er ist und verbleibt nur "Dressur", also ein Zwangsexperiment. Und auf die gleiche Weise ist das Resultat der "Erziehung" zu einer höheren Entwicklungsstufe nur äußerer Schein, ein falscher oder unechter Ausdruck der Stufe dieser "Erziehung", wenn sie Wesen niedriger Stufen aufgezwungen wird. Durch eine solche falsche "Erziehung" werden also diese Wesen mit einem äußeren, materiellen Schein einer höheren seelischen Kultur umgeben, die sie überhaupt nicht besitzen. Sie sind deshalb nur "dressierte" Wesen.
      Unter diesen gekünstelten, seelenlosen äußeren Schein einer höheren Kultur fällt in vielen Fällen auch die sogenannte "Bildung". In vielen Fällen sind seelisch primitive Wesen durch den Schulunterricht oder die "Erziehung" einer höheren Stufe imstande, ihre Primitivität mit den äußeren gedankenmäßigen Erscheinungen oder Einzelheiten dieser "Erziehung" zu tarnen oder zu maskieren, wodurch es so aussieht, als ob sie wirklich echte Vertreter der höheren Stufe seien, der diese "Erziehung" entsprach.
      Aber ein solcher äußerer Schein, ein solcher unechter Zustand ist nicht dasselbe wie ein echter Zustand. Und früher oder später durchbricht die Natur die Erziehung, und der wirkliche seelische Stand des Wesens entpuppt sich. Die Schularbeit, die Aufgaben des Lebens müssen praktisch erlebt werden. Es genügt nicht, die Lebensäußerungen einer höheren Stufe nur theoretisch als "Dressur" beigebracht zu bekommen, man muss sie auch mit Herz und Gefühl als angeborene hundertprozentige Eigennatur und Selbsterlebnisse ausdrücken können. Es muss notwendigerweise zu Zusammenstößen kommen, wenn die "Erziehung" einer Stufe solchen Wesen aufgezwungen werden soll, die auf dieser Stufe gar nicht zu Hause sind. Und daher muss ein Sohn schließlich mit seinen Eltern geistig zusammenstoßen, die ihm aus blinder Liebe und aus Unwissenheit eine Moral und Lebensauffassung aufzwingen wollen, die seine seelische Natur erfahrungsmäßig noch gar nicht erreicht hat und die daher für ihn im schlimmsten Fall eine aufgezwungene "Dressur" wird, von der sich sein Selbsterhaltungstrieb notwendigerweise freikämpfen muss. Wir haben hier die Analyse des Begriffes der "verlorene Sohn".
      Der Sohn muss von hier ins Leben hinauswandern, hinaus in die Zonen der praktischen Erfahrungen, und muss sich dort selbst die höhere Moral, die höhere Lebensanschauung aneignen, die ihm seine höher entwickelten Eltern durch "Erziehung" oder "theoretische Kultivierung" nicht geben konnten.


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