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19. Kapitel

Die Todesschreie in den Urwäldern der Vergangenheit, und ihre Erhörung  Bekanntlich ist die Schöpfungsgeschichte in der Bibel auf "sieben Tage" verteilt, von denen wir also die beiden letzten gestreift haben. Ich kann jedoch hier weder auf diese beiden noch auf die andern fünf großen "Tage", in denen die Welt entstand, näher eingehen, sondern muss den interessierten Leser hier auf die kommenden Bände meines Hauptwerkes "Livets Bog" verweisen. Ich möchte hier jedoch anführen, dass, wie der "Mensch" eine Umschaffung des "Tieres" und "das Tier" eine Umschaffung "der Pflanze" ist, so ist diese wieder eine Umschaffung "des Minerals". Dieses wieder ist eine Umschaffung aus "elektrischen Kräften", "Strahlen" und "Wellen", was wieder "überphysische" oder "geistige" Energien sind. Und all diese Umschöpfungen sind in Wirklichkeit nur verschiedene Stadien, die das Ich in seinem ewig fortschreitenden Dasein erlebt.
      Wir wollen nun wieder zu dem genannten Ereignis in den großen Farnwäldern der Urzeit zurückkehren. Das überfallene Tier stieß also einen Todesschrei aus, eine Art Hinwendung an eine unbekannte Vorsehung, eine Art "Gebet zu Gott" um Errettung. Aber einen Todesschrei oder eine Bitte um Errettung an eine Vorsehung, an eine höhere Macht auszustoßen ist ja dasselbe wie im Interesse des Schutzes oder der Bewahrung des Lebens zu handeln, d.h. etwas zu tun, was zu einer Errettung des gejagten oder todgeweihten Lebens mitwirken kann. Aber eine solche Handlung vorzunehmen ist dasselbe wie lebensfördernd, lebensbeschützend zu sein. Dass diese Handlung des überfallenen Wesens nicht immer stärker als der Angreifer oder als die überfallenden Kräfte ist und daher auch nicht immer seinen Körper vor dem Untergang retten kann, ändert ja nichts an der Tatsache, dass das Wesen nicht freiwillig in den Tod ging, sondern entweder bewusst oder unbewusst den Schrei, "das Gebet" als einen letzten Widerstand gegen den drohenden Untergang benutzte. Wenn auch dieser Widerstand in diesem Falle ganz schwach zu sein scheint, kann dies nicht die Behauptung rechtfertigen, dass er eine Einwilligung zum Sterben ausdrückte. Dass ein Widerstand klein ist, so klein, dass er brutal von der Übermacht gebrochen wird, hebt ja nicht seine Identität mit einem Widerstand auf und kann infolgedessen, logisch betrachtet, niemals mit einer Einwilligung gleichgesetzt werden.
      Bei dem überfallenen Tier im Walde der Urzeit werden wir zum ersten Male Zeuge einer Manifestation oder eines Prinzips, das geistig für die Bewahrung des Lebens arbeitet, eines Prinzips, das zum ersten Mal einen Mund sich öffnen lässt, um mittels des Lautes das Leben statt den Tod zu fördern. Dass man vielleicht sagen kann, es sei ein sehr schmächtiges Prinzip, beruht ja nur darauf, dass wir hier nur die allererste, zarteste Seite seines Werdens erlebt haben. Und was ist nicht zart in seinem frühesten Anfang? Beginnen nicht alle großen Bäume, ja selbst Riesenbäume als ganz kleine Samenkerne? –
      Und verfolgen wir nun dieses Prinzip durch die Zeiten hindurch bis zu unseren Tagen, sehen wir, dass es eine ansehnliche Entwicklung durchgemacht hat. Wenn es auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht fertigentwickelt ist, so ist es doch schon ein Riesenbaum geworden. Hat nicht das, was einst in der Tiefe des Urwaldes das Echo eines herzzerreißenden Schreies gab, seitdem Tausende, ja Millionen von Mündern geöffnet – nicht nur, um primitive Klageschreie, Notsignale oder "Rufe" um Hilfe in drohender Gefahr auszustoßen, sondern auch, um in Form von kultivierten und wohlklingenden Lauten, die wir als "Sprache" oder "Rede" kennen, "Weisheit", "Kenntnisse", "Kunst", "Lobpreisung", "Anbetung" und "Danksagung" an die Vorsehung zu manifestieren, an den Gott, den das Tier geistig schon seit seinem ersten Todesschrei in der tiefen Dämmerung der vergangenen Erdperiode verehrt hat? –
      Und wurde nicht derselbe Todesschrei später in kultivierterer Form durch den Mund eines Welterlösers zu einer Bergpredigt, zu "Gottes Wort"? Sind diese Worte nicht geradezu die Manifestation von Lauten, die dazu dienen sollen, die glückliche und richtige Aufrechterhaltung des Lebens zu fördern? Sind Worte und Sätze wie die folgenden nicht lebengebend? "Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen." – "Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden." – "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst." – "Liebet eure Feinde; segnet die euch verfluchen; tut Gutes denen, die euch hassen; betet für die, die euch beleidigen oder verfolgen, die euch Schaden tun." – "Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut auch ihnen." – "Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun." usw. Kann man sagen, dass eine Lauterzeugung dieser Art eine Einwilligung in Mord und Versehrung oder Verletzung ist? – Ist eine solche Äußerung von Lauten nicht ein Widerstand gegen Zerstörung und Totschlag? – Sind nicht die Rächer, die Mörder und die Verfolger Übertreter dieser Aufforderung oder dieses Liebesgebotes? – Aber war nicht auch der Todesschrei, die Lauterzeugung im Farnwald, ein Widerstand gegen Totschlag und Untergang?
      Es besteht somit kein Unterschied zwischen dem Todesschrei und "Gottes Wort". Die beiden Lauterzeugungen sind höchstens dem Grade nach verschieden, aber absolut nicht ihrer Art nach. "Die Bergpredigt", "Gottes Wort", diese ausgesprochenen Sätze stellen nur die Lauthervorbringung des Todesschreies in kultivierter und entwickelter Form dar. Der Todesschrei aus dem Urwald ist dagegen Ausdruck für diese Art der Lauterzeugung in seiner ersten unkultivierten und primitiven Form. Beide Formen der Lauterzeugung drücken somit die Äußerung desselben Prinzips aus, aber auf zwei weit voneinander abweichenden Entwicklungsstufen. Zutiefst sind sie beide dasselbe bescheidene Gebet um Schutz, derselbe friedliche Widerstand gegen einen drohenden Untergang, derselbe bewusste oder unbewusste Lichtpunkt in einer unglücklichen oder finsteren Lage.
      Diese Lauterzeugung ist jetzt also in der Entwicklung weit fortgeschritten, und was einst nur ein primitiver einsamer "Todesschrei" auf den dunklen Pfaden der Urzeitwälder war, erklingt heute als wunderbare Weisheitsworte, Lobgesänge, Harmonien oder Musik aus Tausenden von kultivierten Kehlen in der ganzen Welt, von Geistlichen, von Lehrern, von Künstlern, von Wissenschaftlern.
      Und auf welche großen Traditionen kann die Geschichte des Todesschreies heute nicht zurückblicken! Was hält man von den unermesslich wertvollen und kolossalen Sphinxen, Pyramiden, Tempeln, Kirchen und Pagoden, die im Laufe der Zeit auf der Erde errichtet worden sind, und von allen denen, die noch existieren? –
      Hat jemand jemals daran gedacht, dass man, wenn man sich vor der großen Pyramide in Ägypten oder vor einem indischen Marmortempel befindet, wenn man unter der Kuppel der Peterskirche Platz nimmt oder von Salomons genialem, goldbelegten Tempel in Jerusalem hört, es hier mit dem Ereignis im Urwald auf einer höheren Ebene zu tun hat? – Hat man jemals diese vornehmen Realitäten als wesensgleich mit dem einsamen Todesschrei aus den fernen Urzeitwäldern aufgefasst? – Und doch, was sind wohl diese mächtigen Erscheinungen anderes als durch göttliche Schöpfungskraft, durch Weisheit und Kunst dem Auge zugänglich gemachte Todesschreie? – Sind nicht diese Heiligtümer, Tempel und Kirchen ein ausgesprochener Widerstand gegen Finsternis und Untergang? – Sind sie nicht ausdrücklich mit dem Zweck vor unseren Augen errichtet worden, um die Kräfte anzufachen, die Glück, Harmonie und Wohlbehagen schaffen? Wer darf behaupten, dass sie hauptsächlich errichtet wurden, um Entsetzen und Schmerz, Mordtaten und Untergang zu schaffen? –
      Dass solche finsteren Realitäten zuweilen trotzdem in Heiligtümer eindringen konnten, ja sogar die Männer der Kirche beseelen konnten, sie zu Mördern und Rächern machten (Inquisition, Segnung des Krieges, Propaganda für Todesstrafe usw.), kann in keinem einzigen Punkt die Identität des Heiligtums mit dem Widerstand gegen alle finsteren oder anscheinend finsteren Mächte entkräften. Dies beweist vielmehr bloß die Tatsache, dass die finstere Übermacht zu groß gewesen ist und imstande war, ihren Opfern den Aberglauben einzubilden, dass sie das Licht sei, so dass diese in blindem Eifer die Gebote des falschen Lichtes befolgten, gleichgültig, wie "heilig" sie auch zu sein schienen, gleichgültig, ob sie Päpste, Geistliche oder Propheten waren. Alle solche Opfer der Finsternis haben das tötende und mordende Prinzip in dem Glauben ausgeübt, dass es berechtigt war, dass es das Licht war, und sie nannten daher diese Handlungen "Gerechtigkeit", "heiligen Zorn", "gerechte Empörung" usw.
      Aber trotz allen Widerstandes, trotz aller Illusionen und aller Irrtümer kann der unartikulierte Notruf aus der Urzeit auf einen unermesslichen Triumphzug durch die Zeiten hindurch zurücksehen. Seine Verwandlung zu Sprache, Rede, Gesang und Musik, seine Umschöpfung zu "Gottes Wort", zu "Weisheit", zu einer "Bergpredigt" ist nur der Anfang, ist nur die Einleitung zu einer noch viel größeren Epoche, zu einer noch viel größeren Ära. Was hat sich nicht alles heute aus den Todesschreien in Form "des Wortes Gottes" durch Kunst und Wissenschaft entwickelt? – Sind nicht die großen Krankenhäuser, das Rettungswesen, das "Rote Kreuz" mit seinen Institutionen und Feldlazaretten der zu Fleisch und Blut gewordene "barmherzige Samariter"? – Und was sind die großen Unterrichtsstätten, Universitäten, Schulen und anderen Lehranstalten? – Weisen sie nicht zurück auf den Kult und die Priesterschaft des Altertums, haben sie nicht ihre Wurzel im Kirchen- und Klosterwesen der Vergangenheit, sind die Pioniere dieser Organisationen nicht alle innerhalb der Reihen der Verkünder des "Wortes Gottes" zu finden? – Und sind diese Realitäten an sich nicht das in physischer Materie sichtbar gemachte "Wort Gottes"? – Sind sie nicht alle ohne Ausnahme auf der Grundlage geschaffen, dass sie das Licht in der Finsternis fördern, die Widerwärtigkeiten in der Welt entfernen sollen, die Fähigkeit stärken sollen, alle zerstörende und tötende Übermacht zu überwinden, und sind sie somit nicht mit den Schreien aus dem Urwald wesensgleich? – Waren diese nicht eben Ausdruck für dasselbe Prinzip, dieselbe Tendenz, Widerstand gegen das tötende Prinzip zu leisten, wenn auch in einer ziemlich machtlosen Form? –
      Und hat "Gottes Wort" in Form von Wissenschaft und Kunst in unseren Tagen nicht große Ergebnisse, große Überwindungen von Unannehmlichkeiten aufzuweisen? – Haben sie nicht die Menschen in großem Ausmaß zum Herrn über Land, Luft und Meer gemacht? – Haben sie nicht die Technik und die Maschinen geschaffen und damit die Elemente dazu gebracht, für den Menschen zu arbeiten? –
      Wer hat schon daran gedacht, wenn er sich gemütlich in die weichen Polster des Schnellzugs zurücklehnt, der ihn Hunderte von Kilometern durch Wälder, Ebenen und Wüsten, über großartige Brücken über tiefe Abgründe und Flüsse, durch große Tunnel, ausgesprengte Felspartien, manchmal in den Höhen des ewigen Schnees, manchmal unten durch tiefe Täler mit blumengeschmückten Wiesen, malerischen Häusern, eigentümlichen Menschen usw. befördert, oder wenn er in den strahlenden Salons mit dem modernen Komfort eines Luxusdampfers, mit Theater, Kino, Schwimmhalle usw. über Ozeane zu fernen schönen Weltteilen mit anderen Menschenrassen, eigentümlichen Sitten und Gebräuchen, merkwürdigen Tieren und Pflanzen getragen wird oder wenn er von der Kabine eines Riesenflugzeuges aus tief, tief unten vor seinem verwunderten Blick schöne Länder und Reiche wie eine unermessliche Landkarte vorbeigleiten sieht, wer hat schon daran gedacht, dass die hier genannten gigantischen Abenteuer aus dem täglichen Leben, ergänzt durch noch fantastischere Wunder: wie Rundfunk, Fernsehen, Sprach- und Farbfilm, die es ermöglichen werden, dass die Menschen der ganzen Welt gleichzeitig denselben Vortrag hören können, gleichzeitig denselben Redner sehen können, Wunder, die wortwörtlich die ganze Welt zu einem Vortragssaal, zu einem einzigen großen Haus machen und so die Herrlichkeiten der Welt allen Menschen vom selben Parkett, von derselben Loge, vom selben Zuschauerplatz aus zugänglich machen werden, wer hat wohl schon daran gedacht, dass dies alles die Antwort Gottes auf den hilflosen Schrei in den dunklen Wäldern der Urzeit ist, dass dies das Ergebnis der letzten schwachen und hoffnungslosen Bitte des überfallenen Tieres an die allmächtige und unbekannte Vorsehung ist, dass dies alles die Erhörung des ersten zarten Gebets ist, das einem Munde entströmte und an den ewigen Vater gerichtet war?
      Ja, das Gebet ist eine mächtige Naturkraft. Das "Himmelreich" wächst auf Erden. Das "Senfkorn" des Todesschreies schickt sich an, ein so mächtiger Baum zu werden, "dass die Vögel unter dem Himmel kommen und wohnen unter seinen Zweigen und in ihm Nester bauen". Der "sechste Tag" leuchtet stark über der Welt. "Das Tier" wird verwandelt, "der Mensch" wird erschaffen, und das Glück beginnt, in der Ferne zum Vorschein zu kommen.


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